karl schmidt-rottluff, patroklusturm, 1922 tanja pirsig-marshall, lwl-museum, münster unter dem eindruck der kolossalen dimensionen des bauwerks hat karl schmidt-rottluff dem westturm von st. patrokli in soest eine geradezu bildsprengende dynamik gegeben. eine wild hervorbrechende farbig- keit, bei der ein kräftiges blau, ein ocker und ein rotbraun dominieren, nimmt das auge gefangen, entwickelt ein eigenleben. zonen reiner farbigkeit greifen ineinander und versetzen die oberfläche in einen schwingenden rhythmus. der grün-braune turm sprengt violett auf- lodernd in den blauen himmel, seine wuchtige inszenierung, unter- stützt durch die intensive farbigkeit und ungewohnte perspektivische darstellung, zieht den betrachter in seinen bann. er steht monumental im bild, scheinbar isoliert von der ihn umgebenden stadtbebauung. dunkelrote und blaue farbareale umschließen von außen den kir- chenbau wie ein glorienschein. die monumentalität, die kirchner der brücke-chronik zufolge schon in den frühen arbeiten schmidt-rottluffs zu erkennen glaubte, kommt in den bildern der 1920er jahre verstärkt zum ausdruck. der enge bildausschnitt steigert die dimensionen des baus, und eine außergewöhnliche, visionäre kraft wird greifbar. groß- zügige, vereinfacht wiedergegebene formen und große flächenzonen bestimmen den charakter dieser komposition. mittelalterlichen stadt und inspirierte viele expressionisten. das in seinem ursprünglichen charakter noch erhalten gebliebene soest er- möglichte ihnen, sich der großstadt und ihrer sozialen problematik zu entziehen. die entstandenen werke sind ausdruck einer rückwärts ge- wandten sozialen utopie und das ergebnis einer die zivilisation ableh- nenden grundstimmung. die flucht vor der sozialen und politischen wirklichkeit, die sich auch in den wiederholten aufenthalten der ex- pressionisten in dangast, auf fehmarn, an den moritzburger seen, in murnau und in sindelsdorf – alles abgelegene naturparadiese – zum ausdruck kommt, sind auch hintergrund vieler in soest entstandener bilder. dennoch verstanden viele künstler damals die architektonische form der kathedrale auch als ein symbol für den aufbruch in eine neue zeit. so gestaltete zum beispiel lyonel feininger das titelblatt des bau- haus-programms von 1919 mit dem holzschnitt einer kathedrale. die stiftskirche st. patrokli ist immer wieder zum sinnbild westfalens selbst und ihr mächtiger turm zum „turm westfalens“ erhoben worden. der „schlechtweg unvergleichliche bau“, so theodor heuss, zählt zu den bedeutendsten romanischen bauten norddeutschlands. die stadt soest mit ihren zahlreichen motiven – den alten türmen und fachwerkhäusern, schmalen gassen und prächtigen kirchen – galt zu beginn des 20. jahrhunderts in künstlerkreisen als der prototyp einer neben wilhelm morgner, otto modersohn, eberhard viegener und wilhelm wulff, den aus soest stammenden malern, hielten sich auch emil nolde, christian rohlfs und johannes molzahn in der stadt auf. künstler wie hans kaiser, hugo kükelhaus, max schulze-sölde und